Wie gesagt, am
6. Dezember 1971 war mein erster Tag bei Norddeich Radio, es war kurz nach
meiner Prüfung für das Seefunkzeugnis 1. Klasse. Es stand fest,
dass ich der Seefahrt den Rücken kehren würde. Mein „Handwerk“
hatte ich ja in 6 Jahren Seefahrt gelernt. So brauchte ich nur noch in
den internen Betrieb eingewiesen werden. Dafür waren 6 Wochen geplant,
die ich mit einem „erfahrenen Beamten“ durchlaufen sollte. Daraus wurde
leider nichts, denn der „Weihnachts-Verkehr“ war schon in vollem Gange,
es konnte kein Beamter zur Einweisung abgestellt werden. So durchlief ich
eine Kurzeinweisung und „klopfte“ die ersten 6 Wochen nur Telegramme. Das
bedeute, dass ich ausschließlich nur Telegramme von Schiffen
zu nehmen, und zu Schiffen übermitteln hatte.
Die
Betriebszentrale, direkt am Deich gelegen. Links im Anbau im 1. Stock wurde
bis zuletzt der Telegrafiefunk abgewickelt.
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An meine erste Verbindung kann ich
mich heute noch gut entsinnen, nachdem ich 1-2 Stunden bei einem Funker
parallel gesessen hatte, meinte der damalige Wachleiter Tamme Heyen, dass
es nun Zeit wäre, selbst aktiv zu werden. Mein erstes Schiff war ausgerechnet
das damals größte deutsche Fahrgastschiff „Bremen“ (DDQP), für
das ein ganzer Stapel Telegramme vorlag. Ich kam mir vor wie ein Anfänger
auf meinem ersten Schiff. Welcher Funker hat diesen Zustand nicht durchlebt
? „Angst vor der Morsetaste, Verkrampfung und Schweißausbrüche....“
Nun ja, nachdem ich das erste Telegramm losgeworden war, sagte mein Gegenüber,
der Operator auf der „Bremen“ „QSG“ (Wer kennt noch diese Q-Gruppe ? –
Übermitteln Sie in Reihe... Zu QSG fällt mir eine lustige
Story ein, die man unter Episoden nachlesen kann.) |
Das baute mich
moralisch unheimlich auf, am Ende der Verbindung klopfte mir der Wachleiter
auf die Schulter und meinte: „Das lief doch sehr gut“. Ob er es wohl damals
ernst gemeint hatte ??
Die Tage vor und
nach Weihnachten waren der alljährliche Höhepunkt im Verkehrsdurchsatz
auf Telegrafiefunk und Telefonie. Tatsächlich wurden die Mitarbeiter
oft bis an die Grenzen der psysischen Belastbarkeit gefordert. Nicht selten
warteten auf jedem Band ( 8, 12, 16 und 22 Mhz) 25 – 30 Schiffe. Es war
eine harte Zeit, hat aber auch Spaß gemacht.
Ich habe oft überlegt,
wie viel Funktelegramme ich in den 25 Jahren im Durchgang verarbeitet habe.
Nach vorsichtigen Schätzungen dürften es so um die 12.000 gewesen
sein.
Der Dienst bei
Norddeich Radio lief rund um die Uhr, zur Nachtzeit natürlich mit
reduzierter Personalstärke. Der Personalbestand belief sich in der
Blütezeit auf etwa 180 Bedienstete bei der Empfangsfunkstelle, dazu
kamen noch ca. 45 Leute bei der Sendefunkstelle in Osterloog.
Es wäre wenig
attraktiv gewesen, die verschiedenen Arbeitsplätze mit immer den selben
Leuten zu besetzen. Aus diesem Grunde hatte man ein gut abgestimmtes Platzbesetzungs-Schema
geschaffen, das in etwa so aussah:
1.Wache
500 kHz (Internationale Not- und Anruffrequenz für Telegafiefunk auf
Mittelwelle)
2.Wache
auf 8 Mhz DAJ ( Wach- und Arbeitsfrequenz auf Kurzwellen-Telefonie, Sprechen
des stündlichen Sammelanrufs auf Kurzwelle und Grenzwelle )
3.Telegramm-Arbeitsplatz
( Aufnahme und Abgabe von Funktelegrammen auf allen Frequenzen)
4.Wache
auf 2182 kHz/ UKW Kanal 16 (156,8 Mhz) (Internationale Not- und Anruffrequenz
auf Grenzwelle und UKW)
5.Sitor
(Abwicklung des Funkfernschreibverkehrs )
Not-
und Anrufplatz 2182 khz und UKW Kanal 16, hier noch im Altbau, etwa um
1975. Links ist der Wachempfänger Siemens E311 zu sehen.
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6.Einseitiger
Funkverkehr ( Bereitstellung der verschiedenen Sender laut gültigem
Hörbereitschaftsplan, Vorbereitung und Aussendung des 2stündigen
Sammelanrufes (tfc list) auf den jeweiligen Frequenzen. Vorbereitung und
Aussendung der Nautischen Warnnachrichten (NX), Zeitzeichen-Aussendung.
Vorbereitung und Aussendung von Telegrammen im einseitigen Funkverkehr
(long distance traffic) zu den Programmzeiten.)
7.Telegramm-Arbeitsplatz
auf Mittelwelle. (Aufnahme und Abgabe von Funktelegrammen ausschließlich
auf der MW-Arbeitsfrequenz 474 kHz, Strahlen von Nautischen Warnnachrichten
und Dringlichkeitsmeldungen.)
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8.
1. Kanal auf Grenzwelle = 2614 kHz. ( Annahme von Anrufen deutscher Seefunkstellen
und Verteilung auf die Arbeitskanäle. Strahlen von Nautischen Warnnachrichten
und Dringlichkeitsmeldungen nach Eingang.
9.Wache
auf 16 Mhz DAJ (Wach- und Arbeitsfrequenz auf Kurzwellen-Telefonie. Verteilung
der Schiffe auf andere Frequenzpaarungen, z. B. DAK, DAI, DAH DAP)
Die Dienstzeiten
bei Norddeich Radio waren im wesentlichen dem täglichen Verkehrsaufkommen
angepasst und sahen in etwa so aus:
1. Tag: 13 – 20
Uhr
2. Tag: 13 – 20
Uhr
3. Tag: 07 – 13
Uhr 20 – 24 Uhr (Nachtdienst)
4. Tag: 00 – 07
Uhr
5. Tag: Freischicht
6. Tag: Freischicht
7. Tag: 16 – 20
Uhr
8. Tag: 09 – 13
Uhr, 20 – 24 Uhr
9. Tag: 13 - 20
Uhr
10.Tag:
07 – 13 Uhr, 20 – 24 Uhr (Nachtdienst)
11.Tag:
00 – 07 Uhr
12.Freischicht
13.Freischicht
14.Freischicht
Zu erwähnen
ist noch, dass wir nicht mit dem so genannten „Pick Up-Verfahren“ im
Telegrafiefunk auf Kurzwelle arbeiteten. Bei Norddeich Radio empfing ein
Funker speziell nur die Anrufe von Schiffen auf den jeweiligen Frequenzen
und verteilte dann die Schiffe an die „Ausweichplätze“, wo dort dann
die Telegramme sende- oder empfangsmäßig von den jeweiligen
Funkern verarbeitet wurden. Dieses System kam in erster Linie den Funkern
auf den Schiffen zu Gute: Sie wurden meiner Meinung nach besser gehört.
Die Funker
auf diesen „Dauerwachplätzen“ hatten es natürlich wesentlich
leichter als ihre Kollegen auf den“ Ausweichplätzen“. Sie brauchten
ja "nur" Rufzeichen und Arbeitsfrequenz heraushören, während
auf den anderen Plätzen die leisen und gestörten Schiffe erst
einmal „verarbeitet“ werden mussten.
Es gab
regelrechte Spezialisten bei uns, die hörten im QRM auf den Bändern
und später auf den Anrufkanälen „die Flöhe husten“. Die
armen „Ausweichfunker“ mussten sich dann mit diesen leisen Schiffen „abquälen“...
Nach
drei Tagen die erste Ablösung in der Empfangsfunkstelle Utlandshörn
Unter
den Schneemassen rechts stehen noch Autos
Kein Durchkommen.... |
Schneekatastrophe Winter 1978/1979
Unvergessen wird für viele Menschen
in Norddeutschland die Schneekatastrophe im Februar 1979 in Erinnerung
bleiben. Anhaltende Schneefälle und starker Ostwind sorgten an vielen
Orten für starke Schneeverwehungen. Davon blieb auch Norddeich Radio
mit der Empfangs- und Sendestelle nicht verschont. Viele Kollegen aus der
Seefahrt werden sich sicherlich noch erinnern können, dass tagelang
in der CQ-Schleife eine Notiz verbreitet wurde, in der auf den eingeschränkten
Dienst aufmerksam gemacht wurde.
Nach drei langen
Tagen gelang es den Schneepflügen und Baggern eine Verbindung zur
Dienststelle herzustellen. Ich gehörte damals zum „Freiwilligen-Trupp“,
der die Eingeschlossenen ablösen sollte. Mit einem Gerätewagen
des THW wurden wir bis ca. 1 km vor die Station gefahren, den Rest des
Weges mussten wir uns über meterhohe Schneewehen selbst durchkämpfen.
Im Innern des Gebäudes erwarteten uns schon übernächtigte
und unrasierte Kollegen, froh , dass die „Schicht“ ein Ende hatte.
Hunger und Durst hatten sie aber nicht zu erleiden gehabt: In der gefüllten
Tiefkühltruhe befanden anfangs sich jede Menge Fertigmenüs. Essen-
und Getränkereserven waren jetzt allerdings aufgebraucht. Zum Glück
hatten wir uns persönlich ausreichend eingedeckt. Wir
mussten
damals „nur“ 2 Tage aushalten
und langsam normalisierte sich der Funk- und Dienstbetrieb wieder.
"Schneestimmung"
48 Stunden Dienst liegen noch vor
mir...
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Meine
letzte Verbindung:
Über das Ende
von Norddeich Radio ist an vielen Stellen über einen längeren
Zeitraum in den Medien berichtet worden. Fernsehen, Rundfunk und Zeitungen
lösten sich bald tagtäglich ab. Ich möchte das alles an
dieser Stelle nicht wiederholen. Schlimm war für uns Betroffene das
langsame „Abwürgen“: Nach und nach wurden die einzelnen Dienste, wie
Telegrafiefunk auf Mittelwelle und Kurzwelle, Kurzwellen-Telefonie, und
Grenzwellentelefonie abgeschaltet.
Am Tage als der Telegrafiefunkdienst
auf Kurzwelle abgeschaltet wurde, war ich schon bei einer anderen Dienststelle
beschäftigt, die sich aber im selben Gebäude befand. Trotzdem
packte ich meine Morsetaste und Kopfhörer aus und setzte mich an einen
freien Arbeitsplatz. Mein letztes Schiff befand sich zwischen Kapstadt
und Durban. Das Rufzeichen fing mit „TC..“ an. Wie aus dem Inhalt des Telegramms
zu entnehmen war, war die SatCom-Anlage an Bord ausgefallen, - was sich
auch irgendwie in der Handschrift des Funkers widerspiegelte: Es musste
wohl schon etwas länger her sein, dass er die Morsetaste benutzte.
Nun ja, nach Empfang des Telegramms gab ich die Empfangsbestätigung
und ganz langsam einen Abschiedstext in „plain English“: „ Nach über
30 Jahren im Seefunk sei dies meine letzte Verbindung mit einem Schiff
und ich wollte mich für immer verabschieden und wünsche dem Kollegen
an Bord für die Zukunft alles Gute“.
Nach einer etwas
längeren Pause kam die kurze Antwort: „PSE RPT“ (Bitte wiederholen
Sie) Dies hatte ich nun doch nicht erwartet. Ich wusste wirklich nicht,
ob ich lachen oder weinen sollte, zumindest hatte ich den Empfänger
ausgeschaltet, Taste und Kopfhörer eingepackt und mich wieder an meinen
neuen Arbeitsplatz begeben. Nur nicht sentimental werden !
So verabschiedete
sich der Seefunk von mir, für immer......
Mehr Fotos in den 4
Foto-Galerien:
Empfangsfunkstelle Westgaste und Utlandshörn
bis 1980
Empfangsfunkstelle Utlandshörn 1980 - 1998
Sendefunkstelle Norddeich
Sendefunkstelle Osterloog
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