Meine Luftwaffenhelferzeit in einer Flakstellung bei der Sendefunkstelle Norddeich

(Gekürzter Auszug aus den Lebenserinnerungen von Friedrich Janssen)

 



Der Verf. als LwH im Jahre 1943

Es war vermutlich im Februar 1943, als in der Schule bekannt wurde, daß alle Schüler des Jahrgangs 1926 als Luftwaffenhelfer zur Flak eingezogen werden sollten. In meiner Klasse, der Obersekunda, waren außer mir nur noch 3 andere Klassenkameraden vom Jahrgang 1926, aber in der Untersekunda gehörte der überwiegende Teil der Schüler zum Jahrgang 1926. 

Einige Wochen vor unserer Einberufung wurden wir 1926er aus den beiden Klassen versammelt und der Major Scherer, dem die Flak in Norddeich unterstand, klärte uns über unseren zukünftigen Einsatz auf: Wir würden an der 2 cm-Flak 38 ausgebildet werden und unser Schutzobjekt würde die Sendefunkstelle Norddeich sein. Er versprach, uns seinen besten Leutnant als Vorgesetzten zu geben. Neben dem militärischen Dienst sollten wir weiterhin Oberschulunterricht erhalten.  

Am 29.03.1943 wurden wir als Luftwaffenhelfer (LwH) eingezogen. Wir erhielten blaugraue Uniformen, mußten allerdings am rechten Ärmel die HJ-Armbinde tragen. Unsere 6-wöchige Ausbildung begann auf der Insel Norderney. Wir wurden in eine Kaserne am Rollfeldrand des Fliegerhorstes einquartiert. Als Ausbildungsoffizier erhielten wir nicht sofort den versprochenen 'besten' Leutnant des Majors Scherer sondern den Leutnant Hohmann.

Wir waren jedoch auch von diesem sehr angetan und konnten uns kaum einen besseren Offizier vorstellen. Wir wurden gut behandelt, nicht schikaniert und machten Exerzierdienst, wie er in der Grundausbildung von Rekruten üblich war, ferner Flugzeugerkennungsdienst, bei dem wir fast sämtliche alliierten und deutschen Flugzeugtypen kennenlernten, Waffenkunde und Geschützexerzieren. Da die Luftwaffe auf Norderney nicht über eine 2 cm-Flak 38 verfügte, wurde das Geschützexerzieren in den Dünen-Stellungen der Marineflak gemacht. Wir marschierten des Morgens mit Gesang über die Betonstraßen des Seefliegerhorstes, durch das Norderneyer Wäldchen bis zu den Flakstellungen der Marine. Schon von weitem hörten wir die Kommandos der übenden Mariner: 

Wenn es "Feuer frei!" hieß, rief der Richtkanonier, so laut er konnte: "Schu....Schu....Schu....Schuß...", bis er durch das neue Kommando: "Feuerpause" erlöst wurde. Das fanden wir sehr lustig. Sobald wir die Stellung erreicht hatten, unterbrachen die Marinesoldaten ihre Übungen und wir kamen dran.  

Zu einer Geschützbedienung gehörten vier Mann, die mit K1 bis K 4 bezeichnet wurden: K 1 war der Richtkanonier. Er saß im Richtkanoniersitz und bediente die beiden Handräder der Höhen- und der Seitenrichtmaschine, mit denen er das Rohr heben und senken und die gesamte Kanone drehen konnte. Dabei schaute er durch das elektrische Visier, mit dem er das gegnerische Flugobjekt anvisierte. Mit dem rechten Fuß betätigte er den Abzugshebel.  

Das E-Visier bestand aus einer halb lichtdurchlässigen Glasplatte, auf welche ein elektrisch verschiebbares Fadenkreuz eingespiegelt wurde. Die Glasplatte verschluckte leider relativ viel Licht, so daß man sich erst eine Weile an die 'Dunkelheit' gewöhnen mußte und auch dann noch das aufzufassende Flugzeug nur schwer ausmachen konnte. Schaute man jedoch abwechselnd durch das Visier und wieder am Visier vorbei, um das Flugzeug überhaupt 'hereinzubekommen', dann bereitete die Umstellung besonders große Schwierigkeiten. Und das alles mußte ja schnell gehen, sonst war das Flugzeug vorbei, ehe man es aufgefaßt hatte. Meine Schwierigkeiten waren sicherlich auch auf meine leider recht geringe Nachtsichtfähigkeit zurückzuführen. Das orange leuchtende Fadenkreuz, dessen Helligkeit man mit einem Drehknopf einstellen konnte, wurde durch sogenannte Tachodynamos verschoben:
Je schneller das gegnerische Flugzeug flog, desto schneller mußte der K 1 die Handräder der Richtmaschinen drehen, um das Flugzeug im Fadenkreuz zu behalten. Desto größere Spannungen lieferten dann aber auch die Tachodynamos und steuerten das Fadenkreuz in der Weise, daß sich der notwendige Vorhaltewinkel ergab. Da dieser nicht nur von der Winkelgeschwindigkeit, sondern auch von der Distanz zwischen dem Geschütz und dem Flugzeug abhängig war, wurden die Entfernungswerte fortlaufend in die Steuerelektronik eingegeben.  

Dies war die Aufgabe des K 2: Er stand hinter dem Geschütz und stellte an Drehknöpfen auf einem kleinen Schaltpult hinten am Geschütz die Entfernungswerte ein, die ihm vom E-Meßmann, dem K 3, zugerufen wurden.  

Der K 3 stand etwas abseits und stellte mit seinem optischen Entfernungsmesser, dessen Basis etwa 1 m betrug, die Entfernung des Flugzeuges fest. Der Ladekanonier, der K 4, stand links vom Geschütz. Seine Haupttätigkeit bestand darin, das Geschütz mit der vom Geschützführer befohlenen Munition, die sich in Magazinen mit je 20 Patronen befand, zu ver- bzw. zu entsorgen. Daneben war er aber auch für das Wechseln heißgeschossener oder beschädigter Rohre zuständig.  

Das Geschützexerzieren begann mit dem Einteilen der 4 Kanoniere. Danach hieß es: "Abzählen!". Die 4 Kanoniere knallten nacheinander die Hacken zusammen, nahmen Haltung an, meldeten sich laut mit: "K 1", "K 2", "K 3", "K 4" und rührten wieder. Jetzt war für alle klar, wer welche Funktion hatte. Da jeder jede Funktion beherrschen mußte, wurde öfter gewechselt. Der Geschützführer gab die Kommandos: "Wechsellllt ... um!" und "Abzählen!"  

Auf das erste Kdo hin sprangen wir umeinander: Der K1 rannte hinten um die Gruppe herum und stellte sich auf den Platz des bisherigen K 4, dieser sprang auf den Platz des bisherigen K 3 und so fort. Nach dem erneuten Abzählen rief der Geschützführer: "Fliegeralarm, Flugzeug 10!" Die Kanoniere 2-4 sprangen an ihre Plätze hinter bzw. links neben dem Geschütz, der K 1 schwang sich in den Richtkanoniersitz und drehte das Geschütz in Richtung 10. Diese Richtungsbezeichnungen waren der Uhrenskala entnommen: Richtung 12 war Norden, Richtung 3 Osten, 6 Süden und 9 Westen. Richtung 10 war also West-Nord-West. Die Richtungen waren am Geschützstand natürlich markiert. Der Richtkanonier drehte dann noch zum Schein ein bißchen an der Höhenrichtmaschine, blickte angestrengt in das E-Visier und meldete: "Ziel erkannt" und eine Sekunde später: "Ziel aufgefaßt". Soweit ich mich erinnere, hatten in dieser Zeit der K 4, der Ladekanonier, ein leeres Übungsmagazin eingesetzt, der K 3 die Entfernung des imaginären heranfliegenden Flugzeuges gemessen und ausgerufen, der K 2 die Entfernung eingestellt und die Waffe durch Zurückziehen der Verschlußkette und Einrastenlassen des Verschlusses gespannt.  

Der Geschützführer rief dann entweder "Feuerstöße" oder "Dauerfeuer" und die Kanone wurde dem gedachten Flugzeug nachgeführt, bis das Kommando "Feuerpause" kam. Daraufhin entnahm der K 4 das Magazin, prüfte mit einer gebogenen Stange, die er seitlich hinten in das Rohr einführte, ob das Rohr frei war (oder ob noch eine Patrone in demselben steckte) und meldete "Rohr frei".
Er betätigte einen Sicherungshebel (?) und meldete "Hebel", darauf zog der K 2 erneut die Spannkette zurück und rief "Kette", dann trat der K 1 mit dem Ruf "Abzug" auf das Abzugspedal. Der K 2 ließ daraufhin den Verschluß mit der Spannkette nach vorne in seine Ruhestellung gleiten.  

In Wirklichkeit ging das alles blitzschnell vor sich: Die Meldungen "Rohr frei", "Hebel", "Kette", "Abzug" folgten in Abständen von Sekundenbruchteilen nacheinander. Dann sprangen die 4 Mann wieder in Linie hinter das Geschütz, der Geschützführer rief erneut: "Wechsellllt ... um!" und die Übung wurde mit geänderten Aufgabenpositionen fortgesetzt. Wenn das Rohr 'heiß geschossen' war, gab der Geschützführer das Kommando: "Rohrwechsel!". Nach dem Prüfen auf "Rohr frei" wurde das Rohr, vermutlich vom K 4 (?), mit Asbesthandschuhen gepackt, aus seiner Bajonettverriegelung gedreht, herausgenommen und auf eine Abkühlungsgabel gelegt.
Dann setzte er ein neues kaltes Rohr ein und meldete die Durchführung des Rohrwechsels. Das Geschützexerzieren machte uns Spaß, es kam unserem Spieltrieb entgegen.  

Wir bekamen auch die Unterkünfte der Marinesoldaten in ihren Dünenbunkern zu sehen und waren von dem Komfort, der dort herrschte, beeindruckt. Es gab sogar gefließte Duschkabinen dort. Einige Male durften wir auch an dem Mittagessen der Mariner teilnehmen: Das Essen war hervorragend, noch besser als das in der Kantine des Seefliegerhorstes, wo wir ansonsten zusammen mit den Seenotfliegern aßen und einmal bis zu fünf, ein besonders hungriger Kamerad schweißtriefend sogar sieben, Teller Milchsuppe mit Bonbongeschmack vertilgten. 

Das einzige Unangenehme war, daß die Mariner ständig mit dem feinen Dünensand zu kämpfen hatten, den der Wind durch die kleinsten Fugen trieb und der ein tägliches Geschützreinigen erforderte, was man an unseren Übungstagen ganz gerne uns überließ. 

Anschließend ging 's, natürlich wieder mit Gesang, zurück in unsere Unterkünfte auf dem Fliegerhorst. Nachmittags wurde vorwiegend unterrichtet. Um 10 Uhr abends war Zapfenstreich und zu diesem Zeitpunkt mußten wir in unseren 2-stöckigen Betten liegen. Nur der zum Stubendienst eingeteilte Kamerad mußte aufbleiben und dem Unteroffizier, der den allabendlichen Stubendurchgang machte, die Stube 'melden'. 

Der ziemlich unmilitärischer Kamerad L. C. war häufig Zielscheibe des Übermuts einiger Kameraden. Eines Tages hatte man ihm aus seinem oben gelegenen Bett fast alle Bretter, auf denen der Strohsack lag, entfernt. Sein Untermann hatte sich frühzeitig hingelegt.
Er schlief bereits, als L. sich anschickte, in sein Bett zu klettern. Als er sich oben über die Bettkante auf den Strohsack wälzte, brachen im selben Augenblick auch schon die wenigen noch vorhandenen Bretter und L. fiel mit den zersplitternden Brettern und dem Strohsack auf den schlafenden Untermann. Dieser fuhr erschrocken aus dem Schlaf hoch und prügelte im Verkennen der Situation wütend auf den L. ein. Die Stube brüllte vor Vergnügen. 

In der Ausbildungszeit mußte ich einmal zusammen mit einem Kameraden nach Oldenburg zu einer Wehrmachtsdienststelle fahren, den Grund weiß ich nicht mehr. Als wir mit dem Dampfer von Norderney nach Norddeich fuhren, sahen wir einen Luftkampf zwischen einem deutschen und einem englischen Flugzeug, bei dem die von hinten und oben angreifende Me 109 einen Treffer erhielt und, hinter dem Engländer in der eingeschlagenen Angriffsrichtung weiterfliegend, ins Meer stürzte.  

Als wir auf der Rückfahrt von Oldenburg wieder in Norddeich eintrafen, fuhr wegen eines heftigen Frühjahrssturms kein Dampfer und wir mußten mit der Passage auf einem Versorgungsschiff, der Frisia XIV, vorliebnehmen. Wir hielten uns mit dem Kapitän, dem Steuermann und einem Matrosen im Steuerhaus auf. Die drei Seebären qualmten mit ihren Tabakspfeifen um die Wette, während das Schiff von einem Wellenberg in das nächste Wellental sauste und dabei kräftig schaukelte. Nach einer Weile wurde ich richtig seekrank von der Schaukelei und der schlechten, mit Tabaksrauch und Öldunst geschwängerten Luft im Steuerhaus. Ich ging daher trotz Sturm und Regen ins Freie und konnte so das Erbrechen vermeiden.  

Am 01.12.99 freute ich mich über ein Wiedersehen mit der Frisia XIV: Im Kurier fand ich ein Bild von diesem im Jahre 1939 gebauten Frachtschiff, wie es im Greetsieler Hafen im Winterquartier liegt. In den letzten Jahren diente es in den Sommermonaten im Juister Hafen als schwimmender Anlegerplatz für das Ausflugschiff  ''Wappen von Juist''. 

Hier muß ich noch eine weitere Erinnerung einflechten: Die Wehrmacht veranstaltete damals alljährlich im Frühjahr den sogenannten "Tag der Wehrmacht". Im Jahre 1941 fand dieser am 23./24.03. statt. Wir sind im Jahr 1943 am 29.03. LwH geworden. Vielleicht ist der "Tag der Wehrmacht" in diesem Jahr einige Wochen später begangen worden, denn ich weiß noch ganz sicher, daß wir Luftwaffenhelfer im Jahre 1943 - vermutlich am Tag der Wehrmacht - an einem der zahlreichen Aufmärsche, wie sie an solchen Tagen unter Teilnahme von Verbänden der Partei, der Hitlerjugend und der Wehrmacht stattfanden, mitmarschierten. Wir waren ein bißchen stolz, als wir danach von Zuschauern hörten, daß sich unsere Einheit wegen ihrer tadellosen Marschordnung vorbildlich von anderen Einheiten, vor allem von der Norder Hitlerjugend, abgehoben hatte. Ich erinnere mich auch noch, daß an einem dieser Tage abends im Deutschen Haus ein Wehrmachts-Orchester, von der Marine-Stammabteilung in Tidofeld (?), einen Musikabend veranstaltete, an dem ich mit einigen Kameraden teilnehmen durfte. Besonders hingerissen waren wir von "Weekend". Sogar O. W., von dem ich am wenigsten eine Begeisterung für die damalige Schlagermusik erwartet hätte, sprang während dieser Darbietung von seinem Stuhl auf und klatschte begeistert Beifall.

Als unsere Ausbildung Mitte Mai 1943 in Norderney zu Ende war, feierten wir den Abschluß mit alkoholfreien Getränken in einem Lokal, welches 'Luftbahnhof' genannt wurde und am Rande des Rollfeldes an der Hafenstraße, nahe dem Ortseingang, lag.

Der Verf.  zu seiner Dienstzeit bei Norddeich Radio

Dann gab es noch ein paar Stunden Ausgang. Ich strebte eiligen Schrittes durch die mir so wohlbekannten Straßen zum großelterlichen Hause, um meine Tanten zu besuchen. Aber ich war sehr enttäuscht von dem Straßenbild, welches sich mir bot: Die Straßen waren fast menschenleer und die großen Verandenfenster der schönen Gästehäuser mit Brettern vernagelt. Ich hatte Norderney noch in ganz anderer Erinnerung aus Friedenszeiten und nun dieses traurige Bild. Aber meine Tanten ließen mich diese Tristesse schnell vergessen.
In ihren Wohnräumen fand ich alles unverändert vor und sie taten alles, um mir den etwa 2-stündigen Besuch bei ihnen so angenehm wie möglich zu machen. Am nächsten Tag räumten wir unsere Kaserne und fuhren nach Norddeich in die dort vorbereitete Einsatzstellung. Leutnant Hohmann verabschiedete sich von uns und wir erhielten jetzt den sagenhaften 'besten Leutnant' des Majors Scherer, den Leutnant Brase, der aus dem niedersächsischen Visselhövede stammte.  

Unsere Stellung lag einige hundert Meter östlich von der Sendefunkstelle Norddeich, dort, wo der Kugelweg in die Deichstraße mündet. Zwei Geschützstellungen waren in die Deichkrone hineingebaut worden, das 3. Geschütz befand sich zunächst etwa 200 m zurück im Hinterland am Weg zum Niemeyerschen Hof.  

Es wurde nach einigen Tagen auf einen Hochstand verlegt, der im Sumpf an der Deichstraße in der Mitte hinter den ersten beiden Geschützen auf Pfählen errichtet worden war. Die Baracken der Besatzungen des 1. und 2. Geschützes waren an die Landseite des Deiches gebaut worden, die Baracke des 3. Geschützes stand auf Pfählen im Sumpf. Von der Baracke führten Laufstege zur Deichstraße und zum Geschütz-Hochstand.  

Wir wurden, wie bei der Wehrmacht üblich, der Größe nach in 3 Geschützbedienungen, Korporalschaften, aufgeteilt. Korporalschaftsführer waren reguläre, altgediente Soldaten. Die größten von uns kamen zum 1., die kleinsten zum 3. Geschütz. Da ich zu den kleineren gehörte, kam ich zunächst zum 3. Geschütz, in die Korporalschaft des Obergefreiten L., der aus dem Sudetenland stammte. Wir lagen mit 6-8 Mann in einer Stube. Eines abends las ein Kamerad aus einem Buch von Ludendorff vor. Plötzlich stockte er, fluchte, warf das Buch auf die Bettdecke, drehte sich herum, riß das Kopfkissen hoch und entdeckte darunter ein Mäusenest mit Jungen.  

Später gelang es mir, zum 2. Geschütz versetzt zu werden. Dort bezog ich mit dem Kameraden H.R. eine in die Süd-Ost-Seite des Deiches gebaute Baracke. Anfangs wohnten wir dort alleine und hatten einen Schlaf- und einen Wohnraum. Mutter schenkte mir einige unsere alten Gardinen aus der Veranda und wir richteten uns den Wohnraum ganz wunderschön und zivil ein. H.R. hatte sein Koffergrammophon und eine Anzahl Schallplatten mit den neuesten Schlagern mitgebracht und die wurden nun in der Freizeit immer wieder abgespielt. Besonders gut erinnere ich mich noch an den Schlager 'Blaues Boot', den ich jetzt selber besitze, nachdem ich ihn vor einigen Jahren aus einer Radiosendung auf Cassette überspielen konnte.  

Führer des 2. Geschützes war der Unteroffizier R., der sich um ein gutes Verhältnis zu uns bemühte, aber öfter Streit mit Leutnant Brase hatte. Es hat sogar einmal, was in der Deutschen Wehrmacht ja eigentlich ein unmögliches Vorkommnis darstellte, das auf gar keinen Fall bekannt werden durfte, eine Prügelei zwischen den beiden gegeben. Wir hielten den R. in diesem Fall für den Urheber. Er konnte den jüngeren, ihm aber geistig haushoch überlegenen, manchen Leuten vielleicht etwas angeberisch erscheinenden Leutnant nicht leiden.  

Das 1. Geschütz wurde vom Wachtmeister Sch. geleitet, der, wie der Obergefreite L., aus dem Sudetenland stammte. Wir amüsierten uns oft ein wenig über die uns seltsam anmutenden Redewendungen dieser beiden 'Beutedeutschen', deren Heimat erst vor kurzem aus der Tschechoslowakei in das Großdeutsche Reich eingegliedert worden war.  

Das Verhältnis zwischen den Vorgesetzten und uns war mit dem Ende der Ausbildung und dem Beginn des Einsatzes schlagartig anders geworden. Wir wurden mit weniger Strenge, dafür kameradschaftlicher behandelt. Natürlich war die Autorität der Vorgesetzten in keiner Weise in Frage gestellt, aber wir merkten doch, daß wir jetzt in einem Boot saßen und im Enstfall aufeinander angewiesen sein würden. Das war eine ganz neue Erfahrung.  

Nun zu unserem Tageslauf: Morgens um 6 Uhr war Wecken. Nach dem Aufstehen, Anziehen, Frühstücken und Aufklaren fuhren wir kurz nach 7 Uhr mit dem Postbus, der sonst außer einigen Schulkindern und Landleuten nur die Ablösungen der Dienstschichten der Sendefunkstellen Osterloog und Norddeich zu befördern hatte, nach Norden zur Schule. Auf der Sendefunkstelle Norddeich taten einige ältere Marinesoldaten Dienst. Diese übernahmen des Vormittags während unseres Schulbesuchs unsere Geschütze.  

Der Postbus kam von der Sendefunkstelle Norddeich, hielt vor unserer Stellung, die Marinesoldaten stiegen aus und wir stiegen ein. Nun war der Bus schon vor halb acht Uhr in Norden und wir konnten noch für fast eine halbe Stunde nach Hause zu den Eltern gehen, uns noch ein bißchen mit Tee oder mit Pudding vom Vortag verwöhnen lassen und von unseren Erlebnissen berichten. Manchmal brachte ich den Eltern und meiner Schwester auch noch etwas zu essen mit:  

Wenn wir nachts wegen Fliegeralarm über eine bestimmte Zeit hinaus an die Geschütze mußten, gab es eine Zusatzverpflegung, die zumeist aus fetter Wurst bestand, die sogenannte 'Alarmzulage'. Viele Kameraden verzichteten darauf. Da es bei uns zu Hause jedoch ziemlich knapp zuging, wir hatten sonst keine weiteren 'Quellen', sammelte ich die nicht angenommenen Zulagen ein und brachte sie nach Hause, wo man sich über die zusätzlichen Lebensmittel freute.  

Kurz vor 8 Uhr fuhr ich dann von zu Hause mit dem Fahrrad zur Schule. Dort erhielten wir einen etwas eingeschränkten Unterricht. Nach Schulschluß ging 's wieder mit dem Fahrrad nach Hause und sofort im Eiltempo zu Fuß weiter zur Haltestelle an der Linteler Straße, wo ich in den Postbus zustieg. Wir fuhren zurück in die Stellung und lösten die Marinesoldaten ab. Da fällt mir noch ein Erlebnis ein:  

Als wir einmal mit dem Bus kurz vor der Stellung an der Baracke vorbeifuhren, in der die Schreibstube untergebracht war, konnten wir beobachten, wie der dicke Verwaltungswachtmeister G. auf seinem Schreibtisch stand und durch das geöffnete Fenster in die Landschaft pinkelte. Wir amüsierten uns natürlich darüber sehr, aber es hieß dann doch: "So ein Ferkel, wie kann der uns so vor der mitfahrenden Zivilbevölkerung blamieren!"  

Später bekamen wir noch eine Schulbaracke und mußten nun nicht mehr morgens nach Norden fahren. Statt dessen kamen einige Lehrer zu uns in die Stellung herausgeradelt und unterrichteten dort. Da sanken aber Umfang und Niveau des Unterrichts merklich ab.
In der Schulbaracke stand ein altes Klavier, vermutlich eine Spende aus der Bevölkerung. Es war arg verstimmt und wenn einer unserer klavierspielenden Kameraden darauf herumhämmerte, klang es wie die verstimmte Drahtkommode des damals sehr bekannten und beliebten Solisten Fritz Schulz Reichel, der auch 'Der schräge Otto' genannt wurde.  

Auf dem Ofen, der in Schulbaracke stand, brieten wir uns abends öfter Bratkartoffeln mit Zwiebeln und Spiegeleiern. So konnten wir unsere Wohnbaracken frei vom Essensdunst halten. Die Eier kauften wir billig und in rauen Mengen in der nahe gelegenen Hühnerfarm des Reiner Otten, der bei der Sendefunkstelle Norddeich als Antennenwart beschäftigt war und sich zum Nebenerwerb und aus Liebhaberei einige hundert Hühner hielt. 

An einigen Vormittagen wurde gelegentlich auch das Geschützexerzieren geübt, Munition ummagaziniert, Funktions- oder gar Übungsschießen durchgeführt. Wie sich das mit dem Schulunterricht vertrug, kann ich heute nicht mehr sagen.  

Das Ummagazinieren habe ich in schlechter Erinnerung: Wir hatten 3 Sorten Munition: Die sogenannten Sprenggranatpatronen, die Panzer- und die Brandmunition. Es gab Magazine, welche mit 20 Patronen eines Typs und andere, welche mit gemischter Munition gefüllt waren. Wurde eine Änderung der Mischung angeordnet, z.B. statt '2 Spreng, 1 Panzer' jetzt '1 Spreng, 1 Brand, 1 Panzer', dann mußten wir die Magazine entleeren und anschließend mit der befohlenen Mischung neu füllen. Das war für uns 16-17 jährige Schüler mit den 'zarten' Fingern ein hartes Stück Arbeit. Die Patronen saßen unter starkem Federdruck in den Magazinen und man durfte sie aus naheliegendem Grund nicht etwa mit einem Hammer herausschlagen sondern mußte sie mit Daumendruck aus dem Magazin herausschieben. Etwas leichter war es, die leicht eingefetteten Patronen in der befohlenen neuen Reihenfolge in das leere Magazin einzuschieben. 

Manche Kameraden nahmen die Sache allerdings nicht so ernst und klopften die Munition mit harten Hilfsmitteln aus den Magazinen. Einer hat sogar einmal versuchsweise eine Patrone mit dem Aufschlagzünder nach unten aus einem Barackenfenster auf das Straßenpflaster fallen lassen, um seinen Kameraden zu demonstrieren, daß die Sache 'ganz ungefährlich' sei. 

Wir hatten ja im Unterricht gelernt, daß die Munition nur beim Abschuß aus der Kanone und auch dann erst ca. 2 m nach dem Verlassen des Rohres scharf wird, wenn sie durch die Züge im Rohr einen 'Drall' bekommen hat, also in Drehung versetzt worden ist. 

Ein anderer Kamerad spannte ein Geschoß in einen Schraubstock und bog die Patronenhülse hin und her, bis sie sich von der Granate abziehen ließ. Dann schüttete er die Treibladung aus der Patronenhülse auf ein Stück Papier und zündete es an, so daß das Pulver verpuffte.  

Von solchen Spielereien durften die Vorgesetzten natürlich nichts merken. Unfälle hat es dabei nicht gegeben. Aber im Waffenkundeunterricht bekamen wir zu hören, daß bei einer anderen Einheit einmal ein Soldat beim Funktionsschießen mit scharfer Munition eine Zeitung vor die Mündung des Rohres gehalten habe. 'Eigentlich' sollte die Granate ja erst 2 m nach Verlassen des Rohres scharf werden. Diese war aber etwas voreilig, explodierte und riß dem Unvorsichtigen die Hand ab.  

Da wir während meiner gesamten Zeit in Norddeich keinen echten Einsatz hatten, mußte alle paar Wochen ein sogenanntes Funktionsschießen durchgeführt werden. Das war eine vergnügliche Angelegenheit. Wir versuchten dabei, mit Einzelfeuer Möven abzuschießen, was uns natürlich nicht gelang, oder Treibgut zu zerschießen, was schon eher möglich war. Interessant war es, zu sehen, wie die unter einem flachen Winkel auf die ruhige See aufprallenden Granaten von der Wasseroberfläche reflektiert wurden und nach dem Gesetz 'Ausfallswinkel gleich Einfallswinkel' wieder vom Wasser in die Luft stiegen. Trotz der hohen Geschwindigkeit von etwa 800 m/s, mit der die Granaten flogen, ließ sich ihre Bahn an Hand der Leuchtspur auch bei Tage verfolgen.  

An einem Samstagvormittag ereignete sich ein Zwischenfall beim Funktionsschießen: Wir hatten Verstärkung durch gleichaltrige Schüler der Mittelschule, der Gräfin-Theda-Schule, bekommen. Ein paar Tage später war ein Funktionsschießen angesetzt. Als das 1. und das 2. Geschütz damit fertig waren, kam die Reihe an das 3. Geschütz, welches bekanntlich auf einem Hochstand im Sumpf mitten hinter dem 1. und dem 2. Geschütz stand. Wir anderen sahen dem Geschehen von unseren Ständen aus zu. Der Obergefreite L. vom
3. Geschütz fragte: "Ist hier jemand, der noch nie geschossen hat?" Es meldeten sich die beiden Neuen, die Mittelschüler M. und L.
Der L. sollte als erster drankommen und wurde in den Richtkanoniersitz befohlen. Er war sehr aufgeregt, denn man hatte ihn ja noch gar nicht richtig ausgebildet, was der Obgfr. L. wohl nicht bedacht hatte. "Schießen Sie ein ganzes Magazin leer und drehen Sie dabei das Rohr von 0 Grad auf maximalen Erhebungswinkel", rief der Geschützführer und dann: "Dauerfeuer, Feuer frei!".  

L. trat auf den Abzugshebel und drehte aufgeregt an der Handkurbel der Höhenrichtmaschine, leider in die falsche Richtung. Denn statt von 0 Grad auf etwa 85 Grad drehte er von 0 Grad auf etwa -15 Grad. Das hatte fatale Folgen:  

Die ersten Schüsse gingen noch über die Deichkrone, die nächsten ließen das Gras des Deiches zwischen dem 1. und dem 2. Geschütz hochspritzen und die folgenden die gesamte Nord-West-Brüstung des 3. Geschützes auseinanderfliegen. In den Nischen der Brüstung standen normalerweise gefüllte Munitionskisten. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn die Schüsse in die Munition hineingegangen wären. Aber durch einen glücklichen Zufall waren gerade diese Nischen zuvor ausgeräumt worden.  

Nun war 'Holland in Not'. Wie üblich beim Kommis, ging es nun darum, den Zwischenfall zu vertuschen und vor dem Bataillonskommandeur, Major Scherer, der sich für den Nachmittag zu einer Besichtigung der Stellung angesagt hatte, geheimzuhalten. In aller Eile fuhr Leutnant Brase zu den Marinesoldaten bei der Sendefunkstelle Norddeich und bat deren Vorgesetzten um Überlassung von ein paar Handwerkern unter diesen älteren Soldaten, damit sie unseren zerfetzten Stand schnellstmöglichst reparierten. 

Die Zusammenarbeit klappte, wie erwartet, hervorragend: Die Marineros rückten mit Brettern, Nägeln, Werkzeug und grüner Farbe an und bereits mittags war der Stand repariert. Major Scherer hat meines Wissens nichts von dem peinlichen Vorfall mitbekommen.  

Am meisten Spaß machte uns jedoch das gelegentlich durchgeführte Übungsschießen. Hierbei zog eine gemächlich mit ca. 200 km/h dahinfliegende W 34, eine einmotorige Junkers-Maschine, an einem langen Seil einen roten Luftsack hinter sich her, auf den wir dann schossen. Ich erinnere mich noch, daß wir den Luftsack an einem Vormittag dreimal abgeschossen haben, was nachträglich kaum zu glauben ist. Vielleicht hat aber auch der Pilot den Luftsack 'losgelassen', weil ihm unsere Geschosse zu dicht um die Ohren flogen. 

Die Nachmittage wurden ausgefüllt mit Geschützexerzieren, gelegentlichem militärischen Unterricht und Schularbeiten. Zu letzteren kamen wir aber so gut wie gar nicht, es gab immer wichtigere Dinge zu tun. So mußten z. B. am Spätnachmittag zwei Mann mit Fahrrädern zu den Frisia-Garagen nach Norddeich fahren dort die Abendverpflegung in Empfang nehmen und in die Stellung bringen. Eines der Dienstfahrräder war mit einem zweirädrigen Anhänger versehen, mit dem die schweren Kaffeekanister transportiert wurden. Außer dem schwarzen Kaffee, dem 'Muckefuck', wie wir ihn nannten, gab es Kommisbrote, Butter, in Portionen aufgeteilt, sowie meistens einen großen Suppenteller voller Quark und einen weiteren voller Marmelade.  

Sehnsüchtig erwarteten wir in der Stellung die Rückkehr der Essenholer. Sehr oft kam es vor, daß sie wegen Reifenpanne mit großer Verspätung eintrafen.
Die Bereifung der Fahrräder befand sich nämlich in denkbar schlechtestem Zustand: Das Profil war völlig abgefahren und die Schläuche voller Flickstellen. Neue Mäntel und Schläuche waren im 4. Kriegsjahr auch für militärischen Einsatz nicht mehr so leicht zu bekommen. Sobald die Essenholer eintrafen, stürzten alle, die irgendwie abkömmlich waren, in die Baracke, in der das Essen verteilt wurde, um die eigene und u. U. die Ration eines guten Kameraden, der gerade Posten stand oder sonstwie unabkömmlich war, abzuholen. Es kam öfter vor, daß Abwesende, die keinen Kameraden beauftragt hatten, bezüglich des Quarks und der Marmelade leer ausgingen, da diese nicht von vornherein nach der Kopfzahl portioniert geliefert worden waren und der mit der Verteilung beauftragte Kamerad jedem Anwesenden mit einem Eßlöffel die Portionen auf die mitgebrachte Untertasse 'haute', bis die Teller leer waren.  

Da die Flakstellung keine eigene Wasserversorgung hatte, mußte das gesamte Wasser, welches wir benötigten, von der Sendefunkstelle Norddeich geholt werden. Wenn also die Kaffeekanister geleert waren, fuhr einer von uns mit dem Anhängerfahrrad und den Kanistern zur Sendefunkstelle, um Frischwasser zu holen. Die Sendefunkstelle verfügte über einen Tiefbrunnen und eine Anlage, in der das harte eisenhaltige Wasser zu Trinkwasser aufbereitet wurde. An der Außenwand des Maschinenhauses befand sich ein Wasserhahn, an dem wir jederzeit zapfen konnten. Mehrmals täglich war ein Wasserholer unterwegs, um den Bedarf der ca. 30 Mann in der Stellung zu decken.  

Wenn wir bei unseren Vorgesetzten im Laufe des Tages unangenehm aufgefallen waren, gab es abends als Sondereinlage auch noch den sogenannten Maskenball, eine vom Unteroffizierskorps der Deutschen Wehrmacht sehr gern ausgeübte Erziehungsmaßnahme: Innerhalb weniger Minuten mußten wir nacheinander in Dienstuniform, Drillichzeug, Sportkleidung, Ausgehuniform auf der Straße antreten.  

Nach jedem Umziehen wurden wir draußen gemustert, ob wir vorschriftsmäßig angezogen waren. Derweilen prüften andere Unteroffiziere in unseren Barackenstuben, ob diese sauber und aufgeräumt und die zuvor benutzten Kleidungsstücke ordentlich in den Spinden abgelegt bzw. aufgehängt worden waren. Da die ganze Aktion unter hohem Zeitdruck durchgeführt wurde, jedes Umziehen durfte maximal nur etwa 3 Minuten dauern, gab es selbstverständlich nahezu beliebig viele Anlässe zu Beanstandungen und Fortsetzungen dieses Schauspiels. Aber schließlich, wenn die Unteroffiziere sich heiser gebrüllt hatten, fanden auch sie kein Gefallen mehr an dieser Schikaniererei, wollten ihren Feierabend haben und so kamen auch wir dann zu demselben. Wir lernten bald, daß es gar keinen Sinn hatte, sich sonderlich zu beeilen und anzustrengen. Man fuhr besser dabei, wenn man die Sache etwas gemächlicher angehen und sich nicht bis zur Erschöpfung antreiben ließ. Die Angelegenheit dauerte dann zwar etwas länger, aber nur wenig, und man kam insgesamt besser über die Runden. Wir nannten dieses Verhalten, welches bei den erfahrenen Soldaten gang und gäbe war: 'Auf stur schalten'. 

Ab Samstagmittag gab es für einen Teil von uns Wochenendurlaub, der erst am Montagmorgen um 7 Uhr endete. Wir konnten also etwa alle 3-4 Wochen einmal ein Wochenende zu Hause verbringen. Die in der Stellung verbliebenen Geschützbesatzungen hatten an den Sonntagen weitgehend dienstfrei. Da wir uns im Sommerhalbjahr befanden, wurde viel gebadet. Natürlich durften nicht alle gleichzeitig ins Wasser gehen, die Geschütze mußten bei jedem Alarm sofort feuerbereit sein. Bei Ebbe wanderten wir bis an den Fahrwasserpriel und schwammen dort in dem besonders warmen Wasser, in dem sich so viele Fische tummelten, daß wir sie öfter mit unseren Beinen berührten. Wir machten auch wohl kleinere Wattwanderungen und versuchten dabei 'Butt zu pedden'. Hin und wieder gelang es uns, einen Butt oder eine Scholle zu greifen, die wir uns dann am Abend in der Pfanne brieten.  

An schönen Sonntagnachmittagen setzte von Norden aus eine regelrechte Völkerwanderung zu unserer Stellung ein: Eltern, Geschwister, Freunde, Freundinnen und Bekannte kamen mit Fahrrädern zur Stellung, saßen mit uns an der Seeseite des Deiches zwischen den Geschützen und wir aßen die mitgebrachten Kuchen und tranken Kaffee aus Thermosflaschen, oder tummelten uns gemeinsam im Wasser. Ein Bild fast wie im tiefsten Frieden, wenn nicht die Geschütze und die Flugmeldeposten daran erinnert hätten, daß wir uns im Krieg befanden.  

An jedem Geschütz mußte Tag und Nacht einer von uns jeweils für 2 Stunden den Flugmeldeposten wahrnehmen, d. h. ständig mit dem Fernglas den Horizont und den Himmel nach Flugzeugen absuchen und jedes Flugzeug über einen Feldfernsprecher der von einem weiteren Kameraden besetzten Vermittlung melden. Der letztere gab die Meldungen an die Flugmeldezentrale weiter.
Der Flugmeldeposten löste für die Stellung Fliegeralarm aus, wenn er ein ihm nicht angekündigtes und nicht sofort einwandfrei als deutsch zu identifizierendes Flugzeug bemerkte.  

Bei Alarm, sei es, daß er von unseren eigenen Posten oder von der Flugmeldezentrale ausgelöst wurde, unterbrachen wir jegliche andere Tätigkeit, stülpten uns die Stahlhelme über und besetzten die Geschütze. Wie bereits erwähnt, sind wir nie zum Einsatz gekommen, was aber nicht heißt, daß wir nicht feindliche Flugzeuge gesehen hätten. Aber diese flogen gewöhnlich in Höhen über 5000 m und waren somit für unsere 2 cm-Flak 38, welche nur eine Reichweite von 2000 m hatte und ein halbwegs erfolgversprechendes Schießen auf Flugziele nur bis zu einer Entfernung von ca. 1000 m erlaubte, unerreichbar.  

An einem Nachmittag kam eine amerikanische 'Flying Fortress', ein viermotoriger Bomber, mit einem brennenden Motor ziemlich niedrig von Juist her auf die Küste zugeflogen. Einige hundert Meter vor uns sprangen 4 Mann der ca. 13 Mann starken Besatzung mit Fallschirmen ab und landeten bei Ebbe im Schlick. Der Bomber passierte die Küstenlinie westlich von uns und eine Me 109 setzte von hinten oben zu einem weiteren Angriff auf ihn an. Der Bomber erwiderte das Feuer aus seinem Heckstand, stürzte dann aber einige Kilometer landeinwärts ab. Die abgesprungenen Amerikaner wurden von den Marinesoldaten der Sendefunkstelle gefangen genommen. Ein Amerikaner war verwundet. Er hatte eine Beinverletzung und wurde auf seinem Fallschirm über den Schlick an die Küste geschleppt. Wir staunten, als uns die Marinesoldaten später erzählten, daß die Amerikaner zu stolz gewesen seien, die ihnen von den Soldaten angebotenen Zigaretten anzunehmen.  
Siehe hierzu:
"Bericht des Ostfriesischen Kuriers vom 31.07.1943"


                                    
                                       Amerikanischer B-17-Bomber.
Eine Maschine dieses Typs wurde Ende Juli 1943 in der Nähe von Norddeich abgeschossen.
 

Nachts sahen wir oft, wie die Flakscheinwerfer auf den Inseln einzelne Bomber erfaßten und die schweren Zwillingsflakgeschütze auf Borkum ihre Granaten, die wir an Hand ihrer Leuchtspur mit bloßem Auge mehrere Sekunden lang verfolgen konnten, in den Himmel schickten.  

Wir waren fast ständig müde und unausgeschlafen. Meistens gingen wir schon gegen 22 Uhr zu Bett. Oft riß uns bereits um 23 Uhr der Fliegeralarm wieder aus dem Schlaf und wir mußten in Windeseile die Geschütze besetzen und feuerbereit machen. Wenn dann gegen
1 Uhr nachts Entwarnung gegeben wurde, ging 's wieder in die Betten. Im günstigsten Falle konnte man dann bis 6 Uhr schlafen, aber wenn man Pech hatte, wurde man z. B. um 3 Uhr wieder geweckt und mußte bis 5 Uhr Flugmeldeposten stehen. Danach lohnte es sich kaum, noch einmal ins Bett zu kriechen, denn kaum war man eingeschlafen, erwachte das Leben in den Baracken und der neue Tag begann mit Aufstehen, Waschen, Anziehen, Frühstücken, Dienst- oder Schulbetrieb. Beim Unterricht hernach fielen uns häufig die Köpfe auf Arme und Tische und wir schliefen vor Übermüdung ein.  

Dennoch erinnere ich mich gerne an manche frühen Morgenstunden, in denen ich Flugmeldeposten stehen mußte: Es war ganz neu für mich, die Morgendämmerung zu erleben. Die Frösche quakten in den Sümpfen hinter dem Deich, die Enten schnatterten und die Vögel begannen zu singen. Graureiher kamen aus dem Binnenland über den Deich geflogen und setzten sich auf die Buhnen, die von der aufkommenden Flut überspült wurden, und fingen sich Fische und anderes Meeresgetier. Und dann stieg schließlich glutrot die Sonne im Nordosten über den Horizont. All' das konnte ich mit dem Flakfernrohr in allen Einzelheiten beobachten und genießen und das ließ mich vorübergehend auch die quälende Müdigkeit vergessen.  

Bei schlechtem Wetter hockte man sich nachts auch wohl in die Fernsprechernische oben auf dem Geschützstand und hielt, was natürlich verboten war, weil es von der Luftraumbeobachtungstätigkeit ablenkte, ein Schwätzchen mit dem Kameraden in der Fernsprechvermittlung.  

Eines Tages wurden einige Radios, darunter Volksempfänger VE 301 und DKE 38, letztere waren deutsche Kleinempfänger, auch 'Goebbelsharfen' oder 'Goebbelsschnauzen' genannt, sowie drei holländische 110V-Philips-Kleinsuper, in der Stellung verteilt.
Die Kleinsuper waren natürlich begehrt, da sie weitaus mehr Sender brachten als die Einkreiser, eine bessere Trennschärfe und einen guten Klang aufwiesen. Leutnant Brase, der sich als erster einen solchen Kleinsuper genommen hatte, wußte von meinen Kenntnissen der Rundfunktechnik und ließ mich die Umstellung der Empfänger auf unsere Netzspannung von 220 V vornehmen. Es wurden mitgelieferte 110-V-Glühlampen zur Herabsetzung der Netzspannung von 220 V auf 110 V hinter den Rückwänden der Empfänger installiert. Als ich mich auf diese Weise hervorgetan hatte, war es natürlich ein Leichtes für mich, auch einen solchen Kleinsuper zu ergattern.  

Es blieb nicht aus, daß die hervorragenden Wohnverhältnisse, deren sich H. R. und ich erfreuen konnten, bei den restlichen sechs Mann des 2. Geschützes, die zusammen in einer größeren Baracke wohnten, nicht gerade mit viel Symphatie betrachtet wurden. Wir hatten zwar fast ständig Besucher, die sich bei uns einmal wieder in relativ ziviler Umgebung wohlfühlen wollten, aber es blieb uns nicht verborgen, daß manche uns mit Neid und Mißgunst betrachteten. Als dann einige Wochen später, wie bereits erwähnt, gleichaltrige Schüler der Gräfin-Theda-Schule, zu uns stießen, wurden zwei von diesen in unsere unterbelegte Baracke einquartiert. Wir hatten Glück, es waren Jungens, mit denen wir uns sehr gut verstanden. Beide kamen vom Land. Der große schlanke H. G. stammte aus Visquard. Er schwebte über den Dingen, sprach ganz gewählt und schien sich gedanklich fortwährend mit den großen deutschen Dichtern und Denkern zu beschäftigen. Der andere war ein Bauernsohn, der mit beiden Füßen im Leben stand und häufig mit seinen Jagderlebnissen prahlte. Als ich auf sein vermutliches Jägerlatein etwas ungläubig reagierte, versprach er, mir vom nächsten Wochenendurlaub einen Fasan mitzubringen. 

Ich hatte diese Bemerkung nicht ganz ernst genommen und schon fast vergessen. Da wurde eines Montags morgens die Barackentür zu unserem Schlafraum aufgerissen und als ich schlaftrunken hochfuhr, sah ich in hohem Bogen einen Gegenstand auf mein Bett fliegen.
Der Kamerad hatte sein Versprechen wahr gemacht und mir einen von ihm geschossenen Fasan mitgebracht und von der Tür aus zugeworfen. Den hab' ich dann mit nach Haus genommen und ihn zusammen mit Vater, Mutter und Schwester am folgenden Sonntag verzehrt.  

Am 17. August 1943 erließ der Reichsjugendführer Arthur Axmann einen Aufruf zur Erfassung aller hochfrequenztechnisch interessierten und vorgebildeten Hitlerjungen. Dieser wurde bei der Hitlerjugend, in den Oberschulen und in den Stellungen der Luftwaffenhelfer verteilt. So bekamen auch wir LwH (Luftwaffenhelfer) in der Stellung Norddeich den Aufruf und die Erfassungsformblätter in die Hände.  

Ich war sofort begeistert, eröffnete sich mir doch hiermit die wunderbare Chance, trotz des Krieges meine Weiterbildung auf dem Gebiet der Hochfrequenztechnik betreiben zu können. Meine Eltern stimmten freudig zu, ich füllte ein Formblatt aus und gab es in der Dienststelle zur Weiterleitung ab. Kamerad E. A., der ebenfalls Interesse an der Hochfrequenztechnik hatte, tat dasselbe. Wir hatten mit unseren Bewerbungen Erfolg und erhielten um den 17.10.43 herum unsere Einberufungen zu einem Auswahllehrgang zum 1. Sonderlehrgang für Hochfrequenztechnik in das Reichsausbildungslager 4, auf dem Stegskopf, bei Daaden/Sieg. Wir sollten uns spätestens am 23.10.43, 14 Uhr, an der Bahnstation Scheuerfeld an der Sieg einfinden.  

Am 21.10.43 durften wir die Flakstellung verlassen. Wir verabschiedeten uns von den Vorgesetzten und den Kameraden und konnten noch einmal zu Hause übernachten. Die Eltern versorgten uns mit reichlich Proviant und Wäsche und dann fuhren wir am 22.10., immer noch als Luftwaffenhelfer und in unseren LwH-Uniformen, mit der Bahn in Richtung Scheuerfeld in eine ungewisse, aber hoffentlich erlebnis- und erfolgreiche Zukunft.  

Mit einigen Kameraden in der Norddeicher Flakstellung führte ich noch einige Monate lang einen regen Schriftwechsel. Ich erfuhr z.B., daß die Kameraden französische Gewehre bekommen hatten und damit Schießübungen machten und dann, fast wörtlich:  
"Als wir anstelle der bisherigen einrohrigen 2cm-Flak-38 nunmehr Vierlinge (= 4 im Quadrat zu einem Geschütz vereinigte 2-cm-Flak 38) bekommen hatten, ist eine Waffe ganz auseinandergeflogen. Das Rohr lag hinten im Watt, das Bodenstück im Sumpf auf der Landseite und von der Waffe war nichts mehr zu gebrauchen. Wir war es dazu gekommen? Beim 1. Geschütz standen wir grundsätzlich mit 3 Mann ständig feuerbereit.
Das bedeutete, daß auch mit 20 Granaten bestückte Magazine 'eingeschwenkt' waren. Nun machten die Kameraden beim Waffenreinigen Rohrwechsel, ohne die Magazine zu entnehmen.


                                     
                                        2-cm-Vierlingsflak
Dieses Modell wurde ab Herbst 1943 bei der Sendefunkstelle Norddeich eingesetzt.

Ein eingesetztes Rohr 'stakte sich', die Kameraden stießen mit Gewalt nach und schon ging die Hölle los. Die haben wahnsinniges Glück gehabt, daß niemand zu Schaden kam.
Das weitere fand sich dann: Du kannst Dir denken, wie der alte Scherer loslegte. Da war zum zweiten Mal die Hölle los. Der (noch neue) Geschützführer, ein Unteroffizier, erhielt 4 Tage Bau und wurde versetzt." 



Der Verfasser  2004

Bis zu welchem Zeitpunkt Luftwaffenhelfer die Stellung Sendefunkstelle Norddeich 'gehalten' haben, das weiß ich nicht. Unser Schriftwechsel ist in den Wirren der letzten Kriegsmonate abgerissen. Aber eine wundersame Begebenheit möchte ich noch nachliefern: 
Im Juli 1945 kam ich aus der Gefangenschaft zurück nach Haus nach Norden. Später, war es noch im selben oder erst im darauffolgenden Jahr(?), traf ich auf dem Neuen Weg meinen Stellungskameraden H.R. wieder. Wir beschlossen, per Fahrrad unsere alte Wirkungsstätte, den Ort, an dem unsere LwH-Stellung gestanden hatte, noch einmal aufzusuchen, um in Erinnerungen zu schwelgen. 

Von der Stellung war nichts mehr zu sehen. Wir fanden nur noch einen in die Deichkrone eingelassenen, zugeschütteten Zementring, ein sogenanntes Einmannloch, welches bei Bombenangriffen Schutz bieten sollte. Aber, wer saß denn dort unten im Gras vor der Basaltkante und schaute auf das Meer hinaus? Der Mann kam uns bekannt vor. Man mag es glauben oder nicht: Es war der ehemalige beste Leutnant des Majors Scherer, unser aus Visselhövede stammende früherer Stellungskommandant Leutnant Brase, der uns so wohlgesonnen gewesen war, jetzt natürlich in Zivil. Auch den hatte am selben Tag der Wunsch, noch einmal den Ort seines damaligen Wirkens aufzusuchen, hierher getrieben. Das gab ein Riesenerstaunen und ein frohes Wiedersehen. Wir hatten uns eine Menge zu erzählen........